Der Apostel
Jakobus, Sohn des Fischers Zebedäus und der Salome, war der ältere Bruder des Apostels Johannes. In den Evangelien fallen die beiden wiederholt auf. Wegen ihres ungestümen Temperaments hat Jesus sie „Donnersöhne“ genannt. Jakobus war Zeuge der Verklärung Jesu und auch seines Gebets am Ölberg. Er begann, in Spanien zu missionieren – leider so erfolglos, dass ihn die Jungfrau Maria persönlich in Saragossa trösten musste, wo sie ihm auf einer Säule stehend erschien (Madonna del Pilar). Resigniert kehrte er nach Jerusalem zurück. Als erster der Zwölf erlitt er den Märtyrertod: König Herodes Agrippa ließ ihn ums Jahr 44 mit dem Schwert hinrichten.
Die Legenden
Dann beginnen die Legenden. Demnach wurde der Leichnam des Apostels auf wundersame Weise von seinen Jüngern von Jerusalem übers Mittelmeer bis an die Westküste Spaniens gebracht und dort bestattet. Um das Jahr 813 entdeckt ein Mönch aufgrund eines „Sternenscheins“ über einem Feld das Grab und der zuständige Bischof lässt schon bald eine Kirche darüber errichten. Das war der Beginn der Wallfahrt nach Santiago de Compostela (Sankt Jakob vom Sternenfeld).
Des weiteren wird St. Jakobus als „Matamoros“, als Maurentöter verehrt, was auf seine himmlische Unterstützung bei der Befreiung Spaniens von den muslimischen Mauren 844 (Schlacht von Clavijo) anspielt. Damit wird St Jakobus zu einer nationalen Identifikationsfigur im damaligen Spanien.
Auch zahlreiche Legenden, bei denen St. Jakobus den Pilgern, die nach Santiago unterwegs sind, hilfreich zur Seite steht, sind überliefert: z.B. der zu Unrecht gehängt Jüngling in Sto. Domingo de la Calzada, der Familienvater, dem der Heilige seinen eigenen Esel leiht, als seine Frau stirbt, oder die Legende vom Sühnepilger, dessen Vergehen aus dem Schuldschein verschwinden, sobald er Santiago erreicht.
Der Camino entsteht
Im Mittelalter bis hin zur Reformation entwickelte sich eine unvorstellbare Pilgerschaft nach Santiago. Ganz Europa machte sich auf den Weg, auf den „camino“, zum Grab des Apostels – nicht zuletzt deshalb, weil die Heiligen Stätten in Palästina mittlerweile in arabischer und osmanischer Hand waren und nicht mehr gefahrlos besucht werden konnten. Überall unterwegs entstanden zahlreiche Einrichtungen für die Betreuung und Begleitung der Pilger: Klöster, Stifte, Herbergen, Hospitäler, Gasthäuser und Kirchen. Für die Orte entlang der Routen bedeutete (damals wie heute) der Pilgerstrom auch wirtschaftlichen Segen.
Seit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebt der Jakobsweg eine neue Blüte. Überall in Europa werden die historischen Routen rekonstruiert und wiederbelebt. Seit 2004 gibt es z.B. auch den Ostbayerischen Jakobsweg, der von Prag kommend über Regensburg und den Bodensee nach Santiago führt.
DEN Jakobsweg gibt es nicht. Auf neuen Karten, auf denen von Jahr zu Jahr mehr Routen markiert werden, sieht es so aus, als ob sich ein Netz aus hunderten von Wegen über Europa breitet. Das ist jedoch der falsche Blickwinkel: Es gibt Millionen Ausgangspunkte. Denn jeder Jakobsweg beginnt dort, wo ich wohne, wo ich mich entscheide, wo ich aufbreche und losgehe. „El camino comienza en su casa!“ Alle diese Wege haben aber dasselbe Ziel: das Grab des Apostels in Santiago de Compostela. Je näher Spanien rückt, desto enger rücken auch die verschiedenen Wege zusammen. In Frankreich finden sich die Wege zu vier Hauptstrecken zusammen: die Via Turonensis, Via Lemovicensis, Via Podiensis und Via Tolosana.Über die Pyrenäen gibt es nur wenige Pässe (den Übergang bei St. Jean-Pied-de-Port oder den südlicheren Somport-Pass) und dahinter nur mehr zwei Hauptwege: den Camino frances, der über Pamplona, Burgos, Leon im Inneren entlang führt, und den Camino del Norte, der sich eng an der Küstenlinie entlangschlängelt.
Das Ziel
Das Ziel ist primär, in Santiago anzukommen. Am besten, indem man die letzten 100 km zu Fuß bzw. 200 km mit dem Rad hinter sich bringt. Dann hat man ein Anrecht auf eine Pilgerurkunde, eine Compostela. Wenn man angekommen ist, führt der erste Weg in die Kathedrale, um den Apostel zu umarmen. Direkt vor dem Eingang ist im Boden eingelassen der km-Stein „0“. In einem Heiligen Jahr (wenn der 25.Juli auf einen Sonntag fällt), sollte man die Kathedrale durch die Heilige Pforte betreten, ansonsten durch das Glorienportal, wo man seine Hand zu Füßen des Jakobus an die Mittelsäule legt und dadurch dem Apostel und dem über ihm thronenden Christus die Ehre erbietet. Auf der Seite des Hochaltars führen Stufen zur sitzenden Apostelfigur hinauf. Dort legt man die Hände von hinten um die Figur, dankt für die glücklich überstandene Pilgerschaft und erfährt ein seltsames Gefühl von Erfüllung. Anschließend führt der Weg hinunter in die Krypta zum Sarkophag mit dem Gebeinen des Hl. Jakobus. Die Mitfeier einer Pilgermesse, in der (hoffentlich) das große Rauchfaß (Botafumeiro) geschwungen wird, ist ein abschließendes Muss. Als Andenken (im Mittelalter als Beweis, dass man das Ziel erreicht hatte) nimmt man eine Jakobsmuschal mit nach Hause. Wer dann noch Kraft in den Füßen hat, kann bis ans Ende der Welt nach Finisterre weiterlaufen (zwei Tagesetappen) oder mit dem Bus fahren.
Das eigentliche Ziel kann nur jeder Pilger selbst bestimmen und erfahren. Der Weg ist es sicher nicht, denn schon bald wird sich das eigenartige Gefühl des Aufbrechens, das man wochenlang jeden Tag gespürt hat, wieder einstellen: Und wohin jetzt? Neue Kraft und Energie für weitere Wege, für den Lebens- oder Glaubensweg, lässt sich in diesem Ankommen in Santiago finden. Neue Ziele wird das Leben bringen.
Jakobspilgern heute
Bis 1980 waren es jährlich unter 100 Pilger, die zu Fuß, mit dem Rad oder dem Pferd in Santiago ankamen und die Compostela ausgestellt bekamen. Seit etwa 5 Jahren sind es nie weniger als 100.000 Pilger, die jährlich eine Compostela erhalten. Zum Heiligen Jahr 2010 waren es sogar 270.000. Nicht nur Hape Kerkeling hat diesen Boom ausgelöst, viele Aussteiger und Selbsterfahrungssuchende sind gemeinsam der Meinung, dass der Jakobsweg trendy ist.
Der Weg in Spanien gleicht vor allem in den Sommermonaten einer Autobahn. Wenn es die gelben Pfeile und Muscheln als Markierung nicht gäbe, bräuchte man nur den zahllosen Rucksäcken folgen, um denWeg zu finden. Es ist ein Wettrennen entstanden um die besseren Schlafplätze und die schnellere Ankunft. Pilgerherbergen und Andenkenläden sind überall entlang des Weges wie Pilze aus dem Boden geschossen. Die wachsende Infrastruktur rund um die Pilger macht vieles einfacher – Versorgung, Unterkunft, Kontakte – und anderes unmöglich – Ruhe, Einsamkeit, tiefe Erfahrungen. Den spanischen Teil des Weges sollte man also besser ins Frühjahr oder den Herbst verlagern – sofern es wegen des Schnees in den Pyrenäen und auf den Pässen möglich ist. Dann erfährt man immer noch „original“ Pilger-Feeling.
Die Wege in Frankreich und noch weiter weg dagegen sind kaum frequentiert und von einer himmlischen Ruhe begleitet. Gerade für Anfänger und Pilger, die alleine gehen wollen, ist dies eine gute Alternative. Auch führen diese Wege „weiter“, wenn man schon einmal in Santiago angekommen ist und auf der Suche bleibt nach weiteren Pilgerstrecken.